Gianni Motti zeigt auf der Art Basel ein Stück Seife. Ja gut? Nein, viel besser: Es ist Berlusconis Bindegewebe.
...neue Rohstoffe liefern: der
italienische Ministerpräsident.
(Bild: G. Di Crollalanza (Rex
Features, Dukas), Gianni Motti)
Das hat uns gerade noch gefehlt: eine Seife aus Silvio Berlusconis Fett. Ohne Witz: Gianni Motti, 47, Shooting Star der Schweizer Kunstszene, wird die exklusive Einzelanfertigung an der bedeutendsten Kunstmesse der Welt, der Art Basel, die am 14. Juni eröffnet wird, präsentieren und dem verwöhnten Kunstliebhaber für etwa 15000 Euro zum Kauf anbieten.
Das kam so: Vor anderthalb Jahren verschwand Italiens Ministerpräsident für einen Monat. Niemand wusste genau, wohin, aber als er dann wieder auftauchte, wirkte er seltsam verjüngt. Das Rätsel wurde bald gelöst: Berlusconi hatte sich für eine Totalrenovation in eine Klinik in Lugano begeben. Wie es der Zufall wollte, kannte Gianni Motti jemanden, der dort arbeitete und der ihm das Fett, das man Berlusconi abgesaugt hatte, zuspielte.
«Es war so eine gallertartige Masse», sagt Motti, «die schrecklich stank, wie verdorbene Butter oder altes Frittieröl.» Und dann ging ihm allerhand durch den Kopf. Er dachte daran, dass Berlusconi zur selben Zeit in den Schönheitsferien weilte, als tote italienische Soldaten aus dem Irak zurückgeschafft wurden. Er dachte auch an die Anti-Korruptions-Operation namens «Mani pulite», «Saubere Hände», an den Mord an Richter Giovanni Falcone und an die immer wieder erhobenen Vorwürfe einer mafiosen Verstrickung Berlusconis. Und er dachte an dessen Meisterschaft, sich dank seines Medienmonopols inmitten all dieses Drecks immer wieder mit blütenweisser Weste zu präsentieren. Auch das Stichwort «Geldwäscherei» kam Motti in den Sinn. Und, ganz ohne Umschweife: «Ich dachte vor allem daran, dass Seifen oft aus Schweinefett hergestellt werden, und die Idee machte mir Spass, dass man sich mit einem Stück echtem Berlusconi den Hintern waschen könnte.»
Die provokative Skulptur ist nicht Gianni Mottis einziger Grossauftritt dieser Tage. Beim Messe-Ableger «Art Unlimited» wird er einen stilvoll gekleideten Herrn während einer Woche in einen Käfig stecken und «exemplarisch ausstellen», wie er sagt. Wen genau, weiss man noch nicht, «aber es treiben sich ja genug dubiose Kerle in der Kunstszene herum», deutet Motti an. Bereits ab dem kommenden Wochenende ist Motti zudem der Star des Schweizer Pavillons an der Biennale Venedig. Aber die Berlusconi-Seife wird zweifellos am meisten zu reden geben, insbesondere in Italien. «Très simple, très efficace», sagt der gebürtige Italiener, der aber schon seit Jahren in Genf lebt: minimaler Aufwand, maximale Wirkung. Motti wird die Seife, die übrigens ganz «hässlich grau» aussehe, mit dem Originalfett, das Berlusconis Bauch und Gesicht mit langen Nadeln entnommen wurde (Liposuktion heisst der Eingriff in der Fachsprache), unter Plexiglas auf ein Podest stellen. Erst wollte er sie an der Biennale in Venedig präsentieren, aber dann sagte er sich, Berlusconi brauche schon einen schicken Ort, und da schien ihm Basel ideal. «Berlusconi sucht ja immer die öffentliche Aufmerksamkeit», resümiert der Künstler, «hier hat er sie.»
Stellt sich die Frage, wer die Seife kaufen und eventuell sogar benützen wird. Vielleicht sogar Berlusconi selbst?
«Es stimmt», sagt Motti, «dass er bekannt dafür ist, Fotos, die ihn unvorteilhaft zeigen, mitsamt den Rechten zu kaufen, damit sie nicht mehr in Umlauf kommen. Deshalb gibt es nur wenige Bilder von ihm... Aber ich glaube nicht, dass er die Seife kaufen wird. Er weiss moderne Kunst nicht wirklich zu schätzen.»
Munter und Fidel
Der Galerist des Künstlers, Nicola von Senger, findet, dass in diesem Coup alle Fäden von Mottis bisherigem Schaffen zusammenlaufen. Tatsächlich zeichneten sich seine Aktionen schon immer durch eine Mischung von Anarchie, Subversion und Tollkühnheit aus: 1987 liess er sich im spanischen Ribarteme am Feiertag der Dorfheiligen in einem offenen Sarg zum Friedhof zur Beerdigung tragen, bei der er dann aber «auferstand»; 1994 schlich er sich als Spieler bei Neuchâtel Xamax auf den Rasen, in einem Match, der auch am Fernsehen übertragen wurde; und 1997 infiltrierte er eine Uno-Sitzung, schnappte sich den leeren Platz des indonesischen Delegierten und hielt sogar eine kurze Rede. Seit kurzem ist er in Verhandlungen mit Fidel Castro; er möchte ihn dazu bringen, ihm den kubanischen Küstenstreifen Guantánamo zu verpachten. Castro wolle die Amis sowieso loswer- den, erklärt Motti, und löse nicht einmal die Schecks über 4085 Dollar pro Jahr ein, die er von ihnen erhalte. Einen dieser Schecks hat Castro Motti überlassen, der ihn auf der Biennale von Venedig ausstellen wird.
Aber wie war das nun genau mit Berlusconis Schönheitsoperation? Anfang 2004 bekam man ihn wochenlang nicht mehr zu Gesicht. Es hiess, er habe sich in seiner Villa auf Sardinien verkrochen. Doch als er wieder auftauchte, liess er verlauten: «Ich habe mich einer Diät unterzogen. Ich brauche Kraft für die Kämpfe, die man zur Erneuerung Italiens führen muss.»
Wenig später sorgte sein Leibarzt Umberto Scapagnini für Aufsehen, indem er Journalisten erklärte, Berlusconi sei «technisch gesehen fast unsterblich». Er habe ein «ausgezeichnetes neuroendokrinologisches Profil, ein wirklich ausserordentliches Gehirn, eine Intelligenz ausserhalb der Norm und eine hervorragende Regenerationsfähigkeit». Zu seiner günstigen Veranlagung komme eine Wunderdiät, die Scapagnini angeblich selbst auf einer Reise entlang der Seidenstrasse zusammengestellt hat, wo es in jedem Dorf mehr als zehn Hundertjährige gebe; ausserdem sei Berlusconi ein fantastischer Sportler. Der Arzt errechnete dann aus all diesen Parametern, dass Berlusconi biologisch eigentlich zwölf Jahre jünger als die offiziellen 67 Jahre sei. Der langen Rede wahrscheinlicher Sinn: Es ging darum, Berlusconis plötzliche Verjüngung als natürliche Anpassung an sein «wirkliches» Alter von 55 Jahren erscheinen zu lassen.
In Wahrheit hatte Berlusconi sich in der Klinik Ars Medica in Gravesano bei Lugano einer Schönheitsoperation unterzogen. Zusammen mit seiner Entourage, zu der auch 17 Bodyguards zählten, hatte er dort ein ganzes Stockwerk in Beschlag genommen. Es war ein Chirurg aus Mailand, der sich der Presse gegenüber detailliert zu dem Eingriff äusserte. Allerdings sprach er lediglich vom Gesichtslifting, also der Antwort auf die Frage, wo die Tränensäcke, Augenfalten und der runzlige Hals geblieben waren.
Just zu dieser Zeit lehnte das italienische Verfassungsgericht ein Immunitätsgesetz ab, das seit 2003 alle Ermittlungen gegen Berlusconi – unter anderem wegen Bestechung von Richtern, Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung und Meineid – stoppte.
Diese (für ihn) beunruhigende Meldung wurde in den Medien aber bald schon von einer viel interessanteren Frage abgelöst: Warum trug Berlusconi ein Kopftuch, als er Tony Blair und seine Frau in seiner Sommerresidenz empfing, und warum nahm er es nicht einmal während des Abendessens ab? Wollte er «Piraten» spielen mit seinem britischen Kollegen? Wieder war es ein plastischer Chirurg, der das Geheimnis ausplauderte: Eine Haarverpflanzung, sagte Doktor Piero Rosati aus Ferrara und dominierte damit während Tagen die Schlagzeilen der italie- nischen Presse. Ja, erklärte er geduldig, es seien Berlusconis eigene Haare und nicht etwa fremde transplantiert worden; nein, es sei keine Vollnarkose, sondern lediglich eine Lokalanästhesie erforderlich gewesen, und der Ministerpräsident habe während der Operation sogar noch Witze über seine Glatze gemacht.
Das ist die komödiantische Seite, auf die Mottis Berlusconi-Seife Bezug nimmt. Es gibt aber auch eine gar nicht lustige. «Mani pulite», «Saubere Hände», wurde ein Pool von Mailänder Staatsanwälten genannt, die ihre Arbeit aufnahmen, als am 17. Februar 1992 der Unternehmer Luca Magni beschlossen hatte, fortan keine Schmiergelder mehr zu bezahlen, und stattdessen vor dem Staatsanwalt Antonio Di Pietro ein umfassendes Geständnis ablegte. Hunderte von italienischen Unternehmern taten es ihm im Gefolge gleich. Sie machten damit ein umfassendes System von Korruption publik – fortan «Tangentopoli» genannt – und fegten damit die gesamte politische Klasse mitsamt Ministerpräsident Bettino Craxi hinweg. Es war während dieser Turbulenzen, als der Richter Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 mit 700 Kilogramm Sprengstoff in die Luft gejagt wurde.
Amüsant im Getriebe
Berlusconi ist der reichste Mann Italiens; sein Vermögen wird auf 18 Milliarden Franken geschätzt und fusst auf Geschäften im Bausektor, über deren ursprüngliche Finanzierung bis heute nur spekuliert werden kann. Seinen politischen Aufstieg verdankt er einerseits dem moralischen Bankrott der Christdemokraten und dem darauf folgenden Machtvakuum, andererseits hatte er während Craxis Amtszeit intensive Kontakte zu diesem gepflegt, bei denen auch allerhand Gefälligkeiten und Geldscheine ausgetauscht wurden. Ende 2004, und das war der vorläufig letzte Akt der Tragikomödie, wurde Berlusconi von der Anklage der Bestechung wegen Verjährung freigesprochen, was aber nur zustande kam, weil er selbst in seiner Funktion als Ministerpräsident diese Verjährung massgeschneidert dekretiert hatte.
Genau wie der reale Berlusconi (wobei es schwierig zu sagen ist, was an ihm real ist und was nicht), platziert sich auch Gianni Mottis zu Kunst «verdichteter» Berlusconi genau in der spannungsvollen Mitte zwischen Tragödie und Komödie. Motti ist nicht einfach ein «listiger Partyschreck», wie ihn der Spiegel kürzlich nannte, und auch nicht bloss ein «Hofnarr des Kunstestablishments, auf postmoderne Art kokett», wie das Kunstmagazin Frieze meinte. Dafür sind seine Eingriffe ins Getriebe zu gezielt und zu scharf. Andererseits ist ihm aber auch das Pathos eines Joseph Beuys fremd («ein Egomane», sagte er einmal über ihn, «am wichtigsten war ihm sein Hut»). Am ehesten müsste man ihn wahrscheinlich mit einem genialen Einbrecher vergleichen, dem es nicht primär ums Geld, sondern um den perfekten Coup geht und um die Genugtuung, der herrschenden «Ordnung» ein Schnippchen geschlagen zu haben.
«Mani pulite, saubere Hände», sagt er am Ende des Gesprächs, «das wäre kein schlechter Titel für das Werk. Ja, ich glaube, ich werde die Berlusconi-Seife ‹Mani pulite› nennen.»
Mitte Juni erscheint das Buch Gianni Motti (100 Seiten, Migros-Museum für Gegenwartskunst, Zürich), das seine wichtigsten Arbeiten dokumentiert.
Quelle: http://www.weltwoche.ch/artikel/?AssetI ... egoryID=63