USA: Todesstrafe vor dem Ende?
Was politisch kaum zu schaffen war, erledigt nun die Finanzkrise. Die exzessive Inhaftierungspraxis in den USA wird überprüft. Auch der Todesstrafe droht das Aus.
Die kalifornischen Gefängnisse sind so schlimm wie ihr Ruf, und vor allem sind sie illegal. Die 33 Haftanstalten, darunter berüchtigte Hochsicherheitsanlagen wie Folsom und San Quentin, sind auf 84'000 Insassen ausgelegt. Doch da in Kalifornien die Gefängnispopulation schneller als die Bevölkerung wächst, sitzen schon mehr als 155'000 Verurteilte hinter Gittern.
Die Überbelegung ist derart gravierend, dass sie den Verfassungsanspruch auf eine menschenwürdige Haftverbüssung verletzt, befand ein dreiköpfiges Kollegium von Bundesrichtern vor kurzem. Die Richter fordern Kalifornien auf, in den kommenden drei Jahren mindestens 55'000 Insassen vorzeitig zu entlassen, wenn nicht mehr Haftanstalten gebaut würden. Davon aber kann angesichts der schweren Budgetkrise keine Rede sein. Rund ein halbes Dutzend weiterer Bundesstaaten ist bereits daran, die harsche Urteils- und Inhaftierungspraxis zu überprüfen, weil sie sich die Kosten des Strafvollzugs nicht mehr leisten können. In den USA sind derzeit 2,3 Millionen Menschen inhaftiert; und weitere 5 Millionen Menschen sind nur auf Bewährung auf freiem Fuss.
Todesstrafe zu kostspielig
Kein anderes Land sperrt so viele Menschen weg. Seit 1990 ist die Zahl der Gefangenen um jährlich 7,5 Prozent gewachsen. Die Kosten des Vollzugs sprengen nun aber die Budgets zahlreicher Bundesstaaten. Mehr als 45 Milliarden Dollar lässt sich das Land das Haftsystem kosten; dem stehen inzwischen Defizite in 31 Bundesstaaten von über 30 Milliarden gegenüber.
Nicht nur die langen Haftdauern und die oft rigide Behandlung von Wiederholungstätern geraten deswegen unter Druck. Auch die Diskussion um die Todesstrafe erhält unter dem Eindruck der Budgetlöcher neuen Schwung. In Maryland, Colorado, Kansas, Nebraska und New Hampshire sind Initiativen zur Abschaffung der Todesstrafe angerollt. Gouverneur Martin O’Malley aus Maryland sagt es kurz und prägnant: «Wir können uns die Todesstrafe nicht mehr leisten. Es gibt billigere und bessere Mittel, die Kriminalität zu reduzieren.» Eine Langzeitstudie in Maryland zeigt, dass ein Prozess, der mit der Todesstrafe endet, über 3 Millionen Dollar kostet, unter anderem weil die Insassen intensiver überwacht werden und ihnen mehrere Rekurswege offenstehen. Ein Mordprozess, in dem die Anklage auf eine Haftstrafe plädiert, kostet «nur» 1,1 Millionen Dollar.
Weit fataler als die Todesstrafe sind die inhumanen Verhältnisse in vielen Gefängnissen. In Kalifornien wurde erst 2005 eine Haftanstalt im Kern Valley für 4800 Verurteilte eröffnet. Sie gilt als eine der modernsten, was die Überwachungsanlagen betrifft; aber sie weist auch gravierende Mängel auf. Obwohl geplant, wurde der Einbau einer Filteranlage «vergessen», dabei leidet die Gegend unter stark mit Nitraten und Arsen verseuchtem Wasser. Die Inhaftierten trinken Wasser, dessen Arsenbelastung um mehr als das Doppelte über dem zulässigen Grenzwert liegt. Die Aufseher bringen ihr Trinkwasser deshalb in Flaschen von zu Hause mit.
Reformen nicht ausgeschlossen
Angesichts solcher Zustände kommt die Budgetkrise den Reformkräften gelegen. Kent Scheidegger von der Criminal Justice Legal Foundation in Sacramento spricht gar von einem «Wunder». Richter könnten nun einfacher als früher aus Kostengründen mildernde Gründe für die Strafzumessung geltend machen und für Schwerverbrecher von der Todesstrafe absehen. Selbst in konservativen Staaten wie Kansas beginnt ein Umdenken. «Wir müssen unkonventionelle Lösungen ins Auge fassen, um unsere Budgetprobleme zu lösen», begründet die republikanische Senatorin Carolyn McGinn ihren Vorstoss zur Abschaffung der Todesstrafe. In 17 Bundesstaaten werden parallel dazu kürzere Haftstrafen für Vergehen und leichtere Drogendelikte vorbereitet.
Selbst ein prominenter Advokat des harten Durchgreifens ist Reformen nicht mehr abgeneigt. Der gescheiterte Präsidentschaftskandidat Bill Richardson, Gouverneur von New Mexico, sicherte kürzlich zu, ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe zu unterschreiben. «Diese Zeiten der neuen Sparsamkeit sind ein valabler Grund zum Umdenken.»
(Tages-Anzeiger)