hier noch ein Bericht von einem Repporter der live dabei war:
Die letzte Nacht von Sodom
Es hätte eine Reportage über das Spidergalaxy werden sollen. Eine Nacht in Zürichs letztem rechtsfreien Raum – doch es kam alles anders.

Samstagmorgen, 1 Uhr: ein bisschen früh fürs Spidergalaxy. Erst gegen vier Uhr solls hier richtig abgehen. Ich bezahle artig Eintritt für den angeblich heissesten Drogensumpf Zürichs. Es ist noch ruhig um diese Zeit. Ein paar Ladyboys zupfen erwartungsvoll ihre Strapse zurecht, ein korpulenter Herr tanzt im Lackkostüm unmotiviert an der Gogo-Stange, die Dealer drehen ihre Runden. Ich komme mit einem ins Gespräch. Er nimmt mich mit auf die Herrentoilette, obwohl die Leute im Spidergalaxy nicht zwischen Herren- und Damentoilette unterscheiden.
1.30 Uhr: Des Dealers Deutsch beschränkt sich auf Fachbegriffe wie Kokain, Ketamin, Heroin, MDMA, Marihuana und vier verschiedene Sorten von Ecstasy: Diamant, Flyer, Champagner und Angels. Auf die Frage, was denn in den Pillen drin sei, wiederholt er sein Sortiment. Es klopft an der Tür. Ich zucke zusammen, er bleibt cool. Von draussen tönts: «Hey, schnupf emol!» Man geht hier offenbar davon aus, dass man nicht wirklich muss, sondern sich irgendwelche Substanzen in die Nase zieht. Der WC-Deckel bleibt deshalb auch geschlossen. Die ganze Nacht. Gekotzt wird draussen bei den Sofas auf dem offenen Areal. Uriniert wird überall.
2 Uhr: Vor der Toilette hat sich bereits eine Warteschlange gebildet. In Zweierreihen stehen Frauen und Männer vor dem Klo. Nicht für Intimitäten, sondern zum gemeinsamen Drogenkonsum. Der Mann hat das Dope, sie lässt sich einladen und bietet ihm später dafür ihren Körper an. Für diese Form der Selbstbestimmung haben Feministinnen nicht gekämpft. Aber das Spidergalaxy ist nicht nur ein rechtsfreier Raum; auch die Moral befindet sich in einem Vakuum. Und die Ethik ist sowieso bereits vor Stunden müde zu Bett gegangen.
3 Uhr: Die Musik ist dumpf, hart und eintönig. Ohne Unterbrechung derselbe Beat, ohne Höhepunkt im endlosen Loop. Es ist die Musik einer Generation, die Angst hat, wenn es still wird. Der Beat darf niemals aufhören. Und das tat er im Spidergalaxy bis anhin auch nicht. Von Donnerstagnacht an war der Club manchmal fast durchgehend bis Sonntagabend geöffnet. Immerfort schwemmte er heimatlose Seelen aus anderen Locations an. Manche kamen sogar aus dem Welschland oder dem Tessin angereist. Das war früher auf dem Platzspitz nicht anders. Wer Parallelen sucht, findet sie hier. Die Zürcher Drogenszene ist nicht verschwunden, sie tarnt sich einfach besser. Und macht es sich lieber in einem Loungechair gemütlich als zwischen stillgelegten Geleisen. Heroin ist inzwischen out, alles andere in und drin.
4 Uhr: Der Laden ist proppevoll, die Schlange vor dem Klo ist etwa so lang wie am Zürifest vor den zwei Dixies beim Bellevue. Die Zweiergruppen warten verkrampft und backenkauend vor den Abteilen. Es kommt fast zur Schlägerei, als sich ein deutsches Pärchen vordrängen will, das den Kodex nicht kennt: Anstehen kommt von Anstand. Auch beim Koksen.
5 Uhr: Ich sitze auf einer Gummiliege beim Eingang. Von dort habe ich eine optimale Sicht auf das Publikum. Noch immer erwarte ich lustvolle Berührungen zwischen erotisierten Männern, Frauen und Paaren, finde aber nur Männer und Frauen vor, die getrieben von der Suche nach dem nächsten Kick ihre Runden drehen. Von freizügigem, orgiastischem Treiben, wie mal in der «Weltwoche» geteast wurde, habe ich nichts mitgekriegt, dafür ist der Darkroom einfach auch zu dark und einen Selbstversuch in diese Richtung mag ich nicht unternehmen. Schweiss tropft von der Decke.
6 Uhr: Ich hole mir mein letztes Bier und gehe raus zu den Sofas, wo munter gekifft und geschnupft wird, sobald der Security-Mann nicht hinsieht. Es wird allmählich hell, die Vögel pfeifen glücklich. Ich gucke in den Himmel und denke: Wäre River Phoenix ein Schweizer gewesen – er wäre wohl vor dem Spidergalaxy gestorben.
26 Stunden später: Die Polizei macht das Spidergalaxy sowie das darüberliegende Stoffwechsel dicht. 300 Personen werden kontrolliert, 18 vorübergehend festgenommen. 52 Partygänger werden wegen Drogenkonsum verzeigt, 33 Fahrzeuglenker, die unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen, müssen ihre Autoschlüssel abgeben. Die Polizei stellt in den beiden Clubs 262 abgepackte Portionen Drogen aller Art sicher. Als Gründe für die einstweilige Schliessung werden Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz, Nichteinhalten der hygienischen Vorschriften und der wirtschaftspolizeilichen Auflagen sowie der bauliche Zustand genannt. Den Patentinhabern wird das Wirtepatent entzogen.
Was für ein schlechter Trip.
Jürg Zentner